Klimaneutralität - Ein Erfahrungsbericht

18. November 2021

Mitten in der Coronakrise 2020 entschied sich Martin Gartenschläger dafür, sein Unternehmen klimaneutral aufzustellen. Seitdem veröffentlicht er auf seiner Website seine CO2-Bilanzen und seine Klimaschutzaktivitäten. Nachstehend berichtet er von seinen Erfahrungen:

Ab 2004 war ich beruflich oft mit dem Flugzeug unterwegs. Als wir 2006 unser Eigenheim planten, war uns Umweltschutz schon wichtig, aber doch mehr als Mittel zum Zweck: Unser Haus sollte geringstmögliche Betriebskosten haben. Also bauten wir ein Niedrigenergiehaus. Und ein paar schöne Fernreisen gab es auch noch, bevor 2010 unsere erste Tochter zur Welt kam. Ab 2012 wuchs zunehmend die Gewissheit, dass das bisherige Zusammenspiel von Mensch und Natur kein Spiel auf Dauer sein wird. Das führte uns zu ersten konkreten Umstellungen wie den Kauf gebrauchter Fachbücher, den Verzicht auf private Flugreisen und die
Umstellung auf Ökostrom. Alles nichts

Außergewöhnliches, rückblickend jedoch der Beginn einer Verhaltensänderung. 2016 beschäftigten wir uns dann damit, ob wir später einmal die mögliche Frage unserer Kinder oder Enkelkinder, ob wir denn unseren größtmöglichen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel geleistet hätten, guten Gewissens mit einem „Ja“ beantworten könnten. Wir kamen auf ein kleinlautes „Nein“. Und diese (beschämende) Erkenntnis hat uns privat wie beruflich verändert.

Entscheidend ist die Grundeinstellung

Ich erwähne diese Vorgeschichte, weil ich mittlerweile der festen Meinung bin, dass erst
die persönliche Grundeinstellung ein nachhaltiges Wirtschaften ermöglicht, das nicht gleich in der ersten Krise anderen Prioritäten geopfert wird. Externer Druck und finanzielle Chancen wirken kurzfristig, eine solide Grundeinstellung dagegen langfristig. Die Corona-Krise bescherte mir einen Umsatz-einbruch sowie Zeit im Büro für Liegen-gebliebenes. So ein „Musst-du-irgendwann-wann-mal-machen-wenn-du-Zeit-hast“-Ding war die Erarbeitung einer Nachhaltig-keitsstrategie für mein Unternehmen. Das hätte ich mitten in einer wirtschaftlichen Krise sicher nicht getan, wenn es mir nicht persönlich wichtig gewesen wäre. Meine Recherche führte mich zur Klimaneutralität. Dabei werden die durch den Geschäftsbetrieb verursachten CO2-Emissionen durch CO2-Kompensationen ausgeglichen. Die Er-stellung einer CO2-Bilanz (Corporate Carbon Footprint CCF) ermöglicht konkrete Maß-nahmen zur Vermeidung, Reduzierung und Kompensation von Emissionen. Ich wollte keinen Papiertiger, keine Zertifizierung, kein Audit und keine Verbote. Als Unternehmer möchte ich mein Unternehmen frei gestalten. Deshalb habe ich die Klimaneutralität ge-wählt. Mitten in der Corona-Krise 2020.

731,40 € für 2021

Eine CO2-Erstbilanz kostet 500 €, eine Folgebilanz 300 €. Die Erstellung einer Folgebilanz ist genauso freiwillig wie die Kompensation. Logischerweise ergibt sich Klimaneutralität erst bei vollständiger Kom-pensation. Je nach Art und Zertifizierungs-grad des Kompensationsprojektes zahlt man zwischen 10 € und 20 € je Tonne CO2. Das Verfahren beruht auf einer online-Selbst-auskunft. Im Preis inbegriffen sind mehrere Stunden Telefonbetreuung, in denen man Fragen klären kann und Tipps für die Kommunikation erhält. Meine CO2-Bilanz für 2019 weist inklusive 10% Sicherheits-aufschlag 17,8 Tonnen Emissionen für meine Firma aus. Ich entschied mich für eine Kompensation durch ein Projekt mit 13 €/
Tonne, so dass ich für die Klimaneutralität (Laufzeit Januar-Dezember 2021) Kosten i.H.v. 731,40 € netto hatte. Der größte Posten ist dabei mein Firmenfahrzeug: Mein VW Golf Kombi 1,6 Diesel verursacht bei 50.000 km/
Jahr und einem Durchschnittsverbrauch von 6,5 l/100 km etwa zehn Tonnen CO2.

409,20 € für 2022

2020 halbierte ich meine Emissionen auf 8,4 Tonnen durch Ökostrom für meine Firmen-räume, den Verzicht auf Dienstflüge und durch die pandemiebedingte, geringere PKW-Fahrleistung. Im Herbst dieses Jahres habe ich die Folgebilanz für 2020 erstellt und kompensiert (Kosten 409,20 € netto). 2021 hat mein Vermieter sein Gebäude klima-
neutral gestellt, so dass die Emissionen für die Heizung meiner Firmenräume (immerhin 2,3 Tonnen/Jahr) aus meiner Bilanz 2021 entfallen werden.

Nächste Schritte

Für 2022 plane ich die rückwirkende Kompensation aller Emissionen seit Firmengründung (10 Jahre x 25 Tonnen) sowie die Umstellung auf ein wasser-stoffbetriebenes Firmenfahrzeug (hoffentlich gibt es bis dahin eine Tankstelle mit grünem Wasserstoff in Rheine). Dann habe ich mein erstes Nachhaltigkeitsziel erreicht: Die Kompensation aller CO2-Emissionen seit Firmengründung (2010) und die dauerhafte Reduzierung meiner betrieblichen CO2-Emissionen um über 50% (Basisjahr 2019).

 

Mein Fazit

Was als Mittel zum Zweck begann, hat sich über eine persönliche Grundeinstellung hin zu einer freiwilligen, krisenfesten Nachhaltig-keitsstrategie entwickelt. Das gute Gefühl, im Rahmen meiner Möglichkeiten meinen maximalen Beitrag zu leisten, stärkt mich.
Und ich bin mir sicher, dass sich nachhaltiges Wirtschaften auf Dauer lohnt. Für Mensch und Natur. Für zunehmend sensible Kunden und Mitarbeiter. Und als Vorbereitung auf strengere rechtliche Rahmenbedingungen.

 

Martin Gartenschläger ist Gründer und
geschäftsführender Gesellschafter der
LEAN & MORE GmbH & Co. KG in
48429 Rheine. Seit Januar 2021 ist sein
Beratungsunternehmen klimaneutral.

Foto: Maik Grundmann